Dienstag, 26. Mai 2015

"Wie gekauft" - echt jetzt?

...das scheint für mein Kind seit geraumer Zeit das größte Kompliment zu sein, wenn man über selbstgenähte Kleidung spricht. Letztens kam Rosa aus der Schule und berichtete stolz, dass sie von der Freundin gefragt wurde, wo wir denn das schicke Outfit gekauft hätten. Wie cool, dass Mama so nähen kann, dass es wie gekauft aussieht!
Nun ja, damit muss ich wohl leben... Natürlich kann ich so nähen, die Frage ist nur, will ich das denn?
Dabei geht es jetzt nicht um die Nähfertigkeit ansich, um gerade oder schiefe Nähte, anständiges Verstürzen und makelloses Finish- das ist für mich eigentlich selbstverständlich. Nicht, dass ich nicht auch manchmal Fehler mache, aber entweder ich bessere anständig aus, oder das Teil wird leider aussortiert :) Was genau heißt denn nun "wie gekauft"? Gemeint ist das doch eher Farblose, die Mainstream-Klamotten, das, was gerade "In" ist. Am besten kein Stoffmix, keine Stickereien, kein Klim-Bim, höchstens ein geplottetes Motiv...




Ich habe, wie so viele andere auch, zu nähen begonnen, weil ich irgendwann einmal im Netz auf selbstgenähte Kleidung gestoßen bin, die mir für mein damals 4 jähriges Mädel super gefallen hat. Farbenmix war damals mein persönlicher Näh-Olymp und ich hab über Monate nächtelang alles studiert, was die farbenmix-Seite hergab. Dann kam die erste Nähmaschine, die wurde bald durch eine Bessere ersetzt und eine Overlock-Maschine kam dazu.
Zu dieser Zeit war die Nähgemeinde im Internet noch relativ übersichtlich- ich hatte meine absoluten Favoriten unter den Näherinnen, manche von diesen Blogs gibt es mittlerweile leider nicht mal mehr. Und auch wenn ich mir die Kunstwerke meiner Lieblinge oft stundenlang ansah, versuchte ich meinen eigenen Stil zu finden.




Vieles hat sich in den letzten Jahren geändert: unzählige neue Shops, täglich neue eBooks, an jeder Ecke Stickdateien und Plottervorlagen... Es gibt Unmengen neuer Blogs und Fanseiten und es wird fast unmöglich den Überblick zu behalten.
Wie lange hab' ich früher bestimmte Stoffe gesucht - es gab ja noch nicht so viele Shops und DaWanda war bei weitem nicht so gut bestückt - die Zeiten sind vorbei, jetzt gibt es sie in Hülle und Fülle :) Meine ersten Kamsnaps hab ich doch tatsächlich in China bestellt, weil es sie hier einfach noch nicht gab!


Ja, alles geht mit der Zeit, auch das "Selbermachen" muss da mitziehen. Selbstgenäht muss oder soll nicht mehr als selbstgenäht zu erkennen sein. Bestickt und betüddelt wird nur mehr selten... Natürlich, die Kinder werden ja auch größer. Angehende Teenies zu benähen stellt eindeutig neue Ansprüche an die Nähkunst. "Wie gekauft" ist das Schlagwort der neuen Nähepoche.


Wozu also noch selber nähen? Abgesehen davon, dass es einfach Spaß macht und ich gerne neue Herausforderungen annehme, gibt es für mich einen wesentlichen Grund, weshalb ich nie aufhören werde zu nähen:
Ich möchte (wenn auch nur im Kleinen) versuchen mich so wenig wie möglich an der Ausbeutung der Menschen in den Textilindustrie-Nationen zu beteiligen. Auf den Punkt gebracht: ich möchte nicht, dass mein Kind Kleider trägt, die irgendwo auf der Welt womöglich von einem anderen Kind, unter fürchterlichsten Bedingungen genäht wurden...



...deswegen kaufe ich gerne Bio-Stoffe, oder zumindest Stoffe aus europäischer Produktion, entwerfe Schnitte die mir gefallen oder designe auch das eine oder andere Stöffchen selbst, setzte mich hinter die Nähmaschine und freu' mich dann, wenn mein Kind stolz sagt: "Toll Mama, wie gekauft!".
Weil ich weiß, es sieht zwar vielleicht so aus, ist aber trotzdem ein Einzelstück und alleine deshalb etwas Besonderes. Mein kleiner bescheidener Beitrag gegen Dumpingpreise und Wegwerf-Mode.


Heute besteht das "wie gekaufte"-Outfit aus einer NOLITA-Tunika aus leichtem Strick und einer einfachen Caroline-Leggings aus Flower-Pur via Lillestoff.

Ich wünsche euch einen kreativen Tag!

Nell